Jeff Guinn, Manson. The Life and Times of Charles Manson
Karina Longworth, You Must Remember This. Charles Manson’s Hollywood
Charles Manson ist eine Person, die aus der Popkultur nicht länger wegzudenken ist. Mein Vorwissen über Manson beschränkte sich darauf, dass Mitglieder der “Manson-Family” die Schauspielerin Sharon Tate, Ehefrau von Roman Polanski, ermordet hatten und dass er überzeugt war, die Beatles hätten ihn mit ihrem Lied „Helter Skelter“ vor einem Rassenaufstand der schwarzen Bevölkerung gewarnt. Wiederkehrende Interpretationen erklären die Manson Morde zu dem Auslöser für das Ende der 60er-Jahre und der glorreichen Ära Hollywoods. Die Manson Familie stehe als Beispiel dafür, wie die Hippie-Bewegung und Free Love im Blutvergießen endeten. Die Aufstände der Jugend sei eine Abkehr von traditionellen Werten gewesen, die zuvor so viel Stabilität und Sicherheit gegeben hätten. Dabei wird natürlich völlig ignoriert, dass Charlie entschied, wer mit dem wem Sex hatte, und dass sein Kult sich an keinen Studentenaufständen oder Protesten beteiligt hatte. So versucht Quentin Tarantino noch 2019 in „Once Upon a Time in Hollywood“ exemplarisch das alte Hollywood vor der Manson-Familie zu retten. Immer wieder wird Charles Manson in den Kontext der Unterhaltungsindustrie von LA gestellt. Schließlich waren die bekanntesten Mordopfer in Hollywood beschäftigt. Die LaBianca-Morde geraten da leicht aus dem Blickfeld. Charles ließ sich auch deshalb in Los Angeles nieder, weil er unbedingt einen Plattenvertrag haben wollte, um Weltruhm zu erlangen. Dabei berührte er unter anderem das Leben von Dennis Wilson, dem Schlagzeuger der Beach Boys, und Terry Melcher, dem Sohn von Doris Day. Dies führte in Hollywood zu einer Paranoia, dass jeder im Showbusiness Opfer eines Anschlags werden könnte. Diese Paranoia fand ihren Ausdruck im New Hollywood der 70er-Jahre.
Diese längere Ausführung soll deutlich machen, dass die Manson-Morde überdeterminiert sind, sodass eine wesentliche Konstante in Mansons Leben völlig außer Acht gelassen wird: das Gefängnis. Viel aufschlussreicher erscheint mir der Einfluss seiner dauerhaften Inhaftierung, der die Formatierung des Manson-Kults und die späteren Morde erst ermöglichte. Charles Manson kam bereits im Alter von fünf Jahren mit dem Gefängnis in Berührung, als seine Mutter Kathleen wegen Körperverletzung und Raubüberfall für fünf Jahre inhaftiert wurde. Nach ihrer Entlassung hatte sie Schwierigkeiten mit seiner Erziehung, weil er ebenfalls zu Gewaltausbrüchen neigte und erst kleinere, dann größere Verbrechen beging. Daraufhin wurde Charles in verschiedenen Einrichtungen eingewiesen:
- 1947 Gibault School for Boys, wo er wegen Fehlverhaltens geschlagen wurde.
- 1949 Boys Town (Jugendstrafanstalt in Omaha, Nebraska), Flucht und Inhaftierung in der Indiana Boys School (Reformschule), wo Charles mehrfach von anderen Jungen vergewaltigt wurde.
- 1951 Charlie hat die Chance auf Bewährung, verliert diese aber, als er bei der Vergewaltigung eines anderen Jungen erwischt wird.
- 1952 Verlegung in den Federal Correctional Complex in Petersburg, Virginia.
- 1956 Terminal Island Los Angeles, drei Jahre Haft wegen Autodiebstahls über die Staatsgrenze.
- 1958 wird er entlassen und beginnt sofort zu pimpen.
- 1961 McNeil Island, 10 Jahre Gefängnis wegen Prostitution.
Auf Terminal Island freundete er sich mit Pimps an, die ihm beibrachten, wie und welche Mädchen man am besten zu Prostituierten machen konnte. Dort besuchte er auch ein Seminar über Dale Carnegies Buch „How to Win Friends and Influence People“ (1936). Dort lernte Charlie unter anderem, dass Sex ein Mittel ist, um Einfluss auf andere zu gewinnen. Wenn du etwas von anderen willst, müssen sie glauben, dass es ihr Wille ist. Gleichzeitig kam er im Gefängnis mit Scientology in Kontakt. Dies wurde auch von der Gefängnisbehörde gefördert, weil geglaubt wurd, dass die Teilnahme an einer religiösen Gemeinschaft zur Resozialisierung der Gefangenen beitrage. Später übernahm Charles Elemente von Scientology, die er in Predigten und Rechtfertigungen seiner Verbrechen übernahm.
Schließlich wurde er 1967 im Alter von 32 Jahren aus dem Gefängnis entlassen. Er hatte mehr als die Hälfte seines Lebens hinter Gittern verbracht.
Angesicht dieser Tatsachen ist es recht unterhaltsam, wenn Brian Keller die Existenz von Gefängnissen gegen Abolitionisten in The New York Review of Books so verteidigt:
Probably the most potent challenge to the abolitionists is “the dangerous few”—what to do with the Charles Mansons and Ted Bundys and Dylan Roofs and Larry Nassars (and R. Kellys?) who could reasonably be regarded as a threat to public safety.
Anstatt Charles Manson zu entwaffnen, hat das Gefängnis-System ihn in den Fähigkeiten unterrichtet, die am Ende sieben Menschenleben vernichten sollte. An keiner Stelle lässt sich ein Augenblick identifizieren, wo das Gefängnis entschärfenden Effekt auf sein Verhalten ausgeübt hatte. Dabei hatte es doch so viel Zeit dazu gehabt.